Religionspädagogisch interessiert uns vor allem die Frage nach den Gründen und der Bedeutung dieses Bilderverbots. In aller Kürze: Zunächst ist damit ein Fremdgötterverbot gemeint. Wer Bilder benutzt, bezieht sich auf andere Gottheiten und tastet also Jahwes Einzigkeit an: "Du sollst neben mir keine anderen Götter haben."

Aber weshalb duldete man auch keine Bilder von Jahwe, dem einzigen Gott? Es muß mit der Unvergleichlichkeit dieses Gottes zu tun haben. Der Verzicht auf jegliches Gottesbild enthält ein Bekenntnis: der Gott Israels ist unverwechselbar anders als alle anderen und als alles andere - und er selbst legt den größten Wert auf diesen Unterschied. Deshalb ist schließlich das Allerheiligste des Tempels in Jerusalem leer.

Vielleicht müßte man es heutigen Schülern so erklären: Bilder sprechen unseren Seh-Sinn an. Dieser beeinflußt den Menschen stärker als alle anderen Sinne. Sehen schafft eine Evidenz, der man sich kaum entziehen kann (daher rührt ja wohl auch die überwältigende Autorität des Fernsehens heute!). Wenn die nicht anwesende Person im Bild präsent gemacht wird, erweckt das den Eindruck von "Realpräsenz"; die Verbindung zwischen Abbild und der abgebildeten Person bekommt leicht magischen Charakter.

Mit anderen Worten: Bilder können ein Mittel in der Hand der Menschen sein, Gott zu nötigen. Sie tasten dann die Freiheit des Gottes an, der sich souverän zeigt wann und wie ER will, der bei seinem Volk ist in dessen Geschichte, und im lebendigen Menschen, aber nicht in von Menschen hergestellten Gegenständen, durch die ER fixiert würde. Das Bilderverbot stellt klar, daß dieser Gott unverfügbar ist, lebendig und frei. Die Unverfügbarkeit dürfte der springende Punkt sein beim Jahwe-Bild-Verbot, nicht jedoch Gottes Geistigkeit und Transzendenz, wie später die griechisch geprägten Theologen meinten (und damit allerdings die Inkarnation implizit als Aufhebung des Bilderverbots durch Gott selbst deuten konnten - wie es auf dem Bilder-Konzil 787 in Nicäa geschah).

Zur Präzisierung ist noch hinzuzufügen, daß Bildworte, also Metaphern für Gott im Alten und Neuen Testament nicht demselben Verdikt unterliegen. Es darf von diesem Gott offensichtlich bildhaft-metaphorisch gesprochen werden - von seiner Hand und seinem Arm, von seinem Auge und seinem Ohr, von Gott als Fels und Burg, als Feuer oder Sonne, ja es kann sogar gesagt werden, daß dieser Gott mit seinem Schuh wirft (Psalm 108,10) oder daß er sich als Frisör betätigt (Jes 7,20). Aber das bleibt doch eine schwebende, subjektiv gefärbte, rein innerliche Vorstellung. Wird diese nach außen projiziert, materialisiert und damit intersubjektiv scharf umrissen und fest-gestellt, so daß die "Glaubensphantasie" dadurch ungebührlich fest-gelegt wird, so ist eine entscheidende Grenze überschritten: Bildworte, konventionelle und kühne, sind theologisch möglich, Statuen und Gemälde dagegen nicht. Das Bilderverbot darf deshalb auch nicht einfach als eine Absage an alles Künstlerisch-Ästhetische gewertet werden. Der zunehmende Bildverzicht in Israel und dessen Übernahme durch die frühe Kirche führten dazu, daß die ganze künstlerische Kraft und Kompetenz in die Gestaltung von erzählenden und poetischen Texten investiert wurden.

Auch wenn wir Christen uns mit guten Gründen, die mit der Mensch- und Sichtbarwerdung Gottes in Jesus Christus zu tun haben, nicht mehr wörtlich an das Bilderverbot halten, muß doch in aller Bilderfreude die Intention des Bilderverbots zum Zuge kommen: Gottes Freiheit nicht anzutasten und die Vorstellung von Gott offenzuhalten. Es fragt sich zum Beispiel, ob die im Mittelalter im Westen üblich werdenden persönlichen Gottvaterbilder nicht doch diese Grenze verletzen. (Þ Bildbeispiel: Bernt Notke, Dreifaltigkeit und Taufe Christi, Lübeck, um 1483)