Erleichtert wird die Überwindung der Distanz durch Kenntnisse über Besonderheiten der vorneuzeitlichen Kunst, zum Beispiel: Der sog. Goldgrund, der seit dem 4. Jahrhundert zunehmend den naturalistischen Hintergrund von Bildern ersetzt, dient nicht nur dazu, den sakralen Bildern eine kostbare und feierliche Wirkung und den Taten und Gesten der Protagonisten Raum- und Zeitlosigkeit zu verleihen oder die dargestellte Person oder Szene zu verherrlichen. Der kundige Theologe wird den Goldglanz zusammenbringen mit dem Herrlichkeitsglanz (hebr. kabód, griech. dóxa), von dem in der Bibel überall dort die Rede ist, wo Gott sich zeigt. Goldgrund als Ausdruck für den im Geschehen aufleuchtenden Lichtglanz Gottes, die "Herrlichkeit" des Herrn. (Þ Bildbeispiel: Simone Martini, Der zwölfjährige Jesus, 1342) Die sachgemäße Frage an die Betrachter lautet: Inwiefern leuchtet im hier Dargestellten tatsächlich etwas von Gottes Glanz auf? Inwiefern läßt sich also der Goldgrund bewahrheiten?

Entsprechend ist der goldene Nimbus ("Heiligenschein") zu deuten; als symbolisches Konzentrat göttlicher Herrlichkeit, die dem Betreffenden gnadenhaft verliehen ist, ein Symbol, durch das seine "Ausstrahlung" versinnbildet wird.

Durch verschiedene Größe der Figuren kann der mittelalterliche Künstler die gestufte Heilsbedeutung der Figuren zeigen. Christus überragt oft alle anderen - das ist nicht als anatomische, sondern als theologische Behauptung zu verstehen! Ebenso gilt: Je ranghöher eine Gestalt ist, umso weniger wird sie von anderen überschnitten ("desavouiert"), selbst in ihrer Erniedrigung. (Þ Bildbeispiel: Hans Hirz, Karlsruher Passion, um 1450) Wenn die Christusgestalt in ihrer Kontur überhaupt einmal (etwa durch die flehenden Hände eines Bittenden) überschnitten wird, so wirkt das infolgedessen besonders eindringlich.

Heutige Sehgewohnheiten lassen nicht-perspektivische Bilder als unkorrekt oder primitiv erscheinen. Damit wird aber das Kunstwollen der Zeit vor der Benutzung perspektivischer Mittel unterschätzt. Mittelalterliche Bilder (und ostkirchliche Ikonen) vermitteln keinerlei Raumillusion, sondern arrangieren die Bildobjekte so, daß ein Maximum an Überblick und Einsicht in die Bedeutung des Dargestellten möglich ist ("Bedeutungsperspektive").