Das gemalte Bild schweigt - es "spricht" nonverbal durch die Darstellung von innerlich (oder sogar äußerlich) nachvollziehbaren und einfühlbaren Gesten und Gebärden. In der ottonischen Buchmalerei beispielsweise ist die Christusfigur "Gestalt gewordene Gebärde" (H. Jantzen). Im Zentrum der ansonsten ziemlich befremdlichen ostkirchlichen Anastasis-Ikone steht Christi "Griff ans Handgelenk" Adams - die Rettungs- und Erlösungsgeste schlechthin. Hierhin gehören die verschiedenen Sprech-, Segens- und Gebetsgesten, die verschiedenen Arm- und Handhaltungen des Gekreuzigten, die Demutsgebärden Marias anläßlich der Verkündigung des Engels, die Gebärden des Staunens bei den Frauen am Grab usw. Tiefsinniger Tausch: Wenn der sitzende "Christus in der Rast" auf seinem Passionsweg die bekannte Melancholiegeste des Ijob auf dem Aschenhaufen übernimmt. Hier gibt die bildende Kunst eine "Antwort" auf die Theodizee-Frage, die verbal kaum einholbar ist.

Heutige Betrachter sind gewohnt, seelische Regungen aus dem Mienenspiel einer Gestalt zu entnehmen. Sie empfinden Gesichter auf vorneuzeitlichen Bildern und Ikonen leicht als "streng" oder "traurig". Es ist wichtig zu wissen, daß bis ins 14. Jahrhundert die Mimik neutral, d. h. kein Ausdrucksträger ist. Was die dargestellte Person innerlich bewegt, soll in der Regel weniger an ihrem Gesichtsaudruck und mehr an ihrer sonstigen Körpersprache, besonders an ihrer Gestik abgelesen werden.