Das müssen Christen heute sich und ihren Schülern ausdrücklich bewußt machen, da dieser Sachverhalt durch die Tradition leicht verschleiert wird. In jeder katholischen Kirche beispielsweise findet sich ein "Kreuzweg", dessen Bilder zur meditativen Einfühlung in den letzten Gang Jesu anregen sollen. Die 6. Station zeigt traditionell, wie Veronika Jesus das Schweißtuch reicht, in das er sein Antlitz drückt. Seit dem 5./6. Jahrhundert n.Chr. kursieren solche Legenden, die den christlichen Bildgebrauch - trotz Bilderverbot - zu autorisieren suchen, indem sie ihn auf den historischen Jesus selbst zurückführen. Die gleiche Funktion hat im Osten die sogen. Abgar-Legende. Dasselbe Legitimierungsbedürfnis zeigt sich in der Legende, der Evangelist Lukas sei Maler gewesen (Þ Bildbeispiel: Jan Gossaert, Der heilige Lukas malt Maria mit dem Kind, 1520). Allmählich wird mit Hilfe solcher apokrypher Geschichten das Alter und der Rang der Bilder an das Evangelium selbst herangerückt. Authentischer kann kein Bild sein als ein direkter Abdruck. Der prophetische Einwand, Bilder seien Machwerke von Menschen, mußte hier ins Leere gehen. "Nicht-von-Hand-gemachte-Christusbilder", sogen. Acheiropoieten werteten die einst verpönten Bilder auf. Wenn die Madonnenbilder von der Hand des Lukas stammten, mußten sie inspiriert sein wie dessen Evangelium.

Die durch die Veronika/Abgar-Legenden legitimierten Christusbilder sind von großer Ausdrucksmacht; der überzeugende visuelle Eindruck schien das Erzählte zu beglaubigen. So wird verständlich, daß man teilweise bis in unser Jahrhundert hinein in kirchlichen Kreisen meinte, gemalte Bilder gehörten zum apostolischen Ursprung der Kirche.