Die Versuchung, Bilder nur als "Illustration" des zugehörigen Textes aufzufassen, ist sicher schon dadurch gegeben, daß Bilder mit christlicher Thematik in der Regel tatsächlich "worthaltig" sind, weil sie sich auf einen bestimmten Text beziehen. Außerdem findet eine Verständigung auch über die künstlerische Realisierung eines Themas im Religionsunterricht in aller Regel mit Worten statt. Aber: Die Sprache, mit der wir über das Bild sprechen, ist nicht die Sprache des Bildes. Es "spricht" vielmehr nonverbal, durch Formgebung und Farbkultur, durch die körpersprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten der dargestellten Personen oder durch visuelle Symbole. Diese Besonderheit des Mediums "Bild" wird unterschätzt, wenn Bilder nur als stumme Worte gelten - wie in der Bildertheologie des 6. - 9. Jahrhunderts, die bis heute in der Kirche nachwirkt. (Im 8./9. Jahrhundert wurde die Bilderfrage in Ost- und Westkirche definitiv zugunsten der Bilder entschieden, insbesondere durch das 7. ökumenische Konzil, das 787 in Nicäa stattfand. Unumstritten waren die Bilder aber auch danach nicht und sind es bis heute nicht!)

Der Gleichstellung von Bildern mit dem Schriftwort kam damals die allgemeingültige Ästhetik entgegen. Im Griechischen wird dasselbe Wort "graphein" für "schreiben" wie für "malen" gebraucht. Malen galt als eine Form des Umschreibens; das Lineare dominierte gegenüber dem Malerischen. Nur Gott selbst galt als "unumschreibbar" (aperígraptos); aber in Jesus Christus hatte er sich ja selbst "umschrieben" und insofern, und das heißt: nur insoweit schien Gott auch malbar geworden zu sein durch die Inkarnation. So jedenfalls argumentierte das Bilderkonzil von 787.

Herbert Fendrich hat das Verhältnis von alter und neuer christlicher Kunst in ihrem Verhältnis zum Wort folgendermaßen auf den Punkt gebracht: "In der älteren Kunst stehen Bild und Wort in einem engen, auch vom Künstler gesuchten und gewollten Zusammenhang. Das Bild ist eindeutig "Bild zum Text", ohne den Text nicht sachgerecht deutbar. Mengentheoretisch gesprochen: Die Schnittmenge von Text und Kontext im Bereich der Inhalte und Intentionen ist relativ groß. Selbstverständlich sind diese Mengen aber nicht deckungsgleich; trotz vielfältiger Bezüge und Analogien zwischen Bild und Wort sprechen sie doch eine je eigenständige Sprache. Für die Interpetation ist gerade die Spannung zwischen Korrelation und Opposition (Kongruenz/Differenz) besonders fruchtbar. Solche Bilder sind durchaus sachgerecht zu beurteilen und zu bewerten, in dem man nach ihrer Brauchbarkeit fragt: Wie gut leisten sie den "Dienst am Wort", lassen sich anspruchsvolle und aspektreiche inhaltliche Zielsetzungen auf der Linie der Intentionen des Bibeltextes erreichen? Zugleich muß aber auch die unverwechselbare Eigenart des Kunstwerkes mitgesehen werden, das "Anders-Sein", das nicht einfach mit dem Text verrechenbar ist.

Dagegen ist in der neueren Kunst die Schnittmenge von Text und Kontext deutlich geringer, der Zusammenhang kann sich auflösen, ist vielleicht nur flüchtig. Wenn die biblische Thematik bewußt aufgenommen und berührt wird, ist nicht eine allgemeingültige Auslegung im Sinn eines dogmatischen Schriftverständnisses intendiert. Charakteristisch sind - um nur einige Stichworte zu nennen - Autonomie, Ablösung von der ikonographischen Tradition, Fremdheit, Irritation, Provokation, Authentizität, Subjektivität, Offenheit. Solche Kunst zur Bibel kann selbstverständlich nicht nach ihrer Kongruenz mit dem Text (oder mit einer verbindlichen Glaubenslehre) bewertet werden. Die Beurteilung hat in erster Linie - so schwer das ist - auf künstlerische und ästhetische Qualität ihr Augenmerk zu richten."